Sommerhitze

Ich war zu der Zeit ein ungefähr dreizehn Jahre alter, ziemlich hagerer und vergleichsweise schüchterner Junge. Und ich mähte wöchentlich den Rasen bei den Bekannten meines Vaters. Der Rasen war ziemlich großflächig und verwinkelt angelegt und ich benötigte etwa drei Stunden für diese Arbeit.

 

Ungefähr in der Rasenmitte, in der Nähe des Hauses, gab es eine quadratische Rasenfläche, die von einer etwa zwei Meter hohen Hecke umgeben war. Die dichte Buchenhecke bildete eine Art Laube, in der das Gras nur spärlich wuchs und ich sparte mir diesen Teil des Rasens immer für das Arbeitsende auf, sozusagen als angenehmen Rest, denn dort war es gewöhnlich etwas kühler. Der Eingang in  diese Laube war ziemlich schmal, lag etwas versteckt und der Rasenmäher passte gerade einmal ganz knapp hindurch.

 

Ich machte wie immer eine kurze Halbzeitpause, um einen Schluck Wasser zu trinken und den Schweiß abzutrocknen. Jetzt, da der Motorrasenmäher stillstand, bemerkte ich, wie besonders friedlich es hier heute war. Der ausgelassene Vogelgesang war das einzige Geräusch in der Nähe und ich schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug von der Luft mit dem frischen Rasenaroma. Plötzlich hörte ich, wie mein Name leise gerufen wurde. Ich lauschte und hielt die Augen geschlossen. Noch einmal, mein Name, zwischen all dem eifrigen Vogelgezwitscher. Die Stimme kam aus der Laube. Ich war ein wenig überrascht und zögerte, denn ich hatte vermutet, ich wäre allein im Garten. Dann schlurfte ich jedoch, etwas verhaltenen Schrittes, zum Heckeneingang.

 

Die einige Jahre ältere Tochter des Hauses lag auf einer geflochtenen, gelben Sonnenliege in der Laubenmitte. Sie schaute mich mit leicht flackerndem Blick an. Ihre Füße standen rechts und links neben der Liege. Sie hatte den Po etwas angehoben und machte dabei ein leichtes Hohlkreuz. Sie streckte mir, wie unabsichtlich, jedoch unübersehbar, ihr Becken entgegen und sagte unsicher fordernd: „Komm mal her“. ich machte zwei kleine Schritte auf sie zu. „Noch näher“, hauchte sie. Ihre Wangen glühten. Der dunkle Badeanzug zwischen ihren Beinen war seitlich verrutscht. Ich drehte den Kopf taktvoll und etwas verschämt zur Seite. Mich durchströmte plötzlich, trotz der schattigen Kühle, eine unvertraute, heiße Welle, die mich sehr unsicher machte.

 

Sie hatte, bis vor diesen wenigen Momenten, noch niemals ein Wort mit mir gewechselt und mich auch nicht angesehen. Daher glaubte ich, sie hätte mich, in ihrem fast erwachsenen Leben, überhaupt nicht wahrgenommen. Jetzt hatte sie mich zudem bei meinem Namen gerufen. Dass allein genügte normaler Weise, mich ordentlich in Verlegenheit zu bringen.Nun lag sie hier auch noch plötzlich vor mir, so überraschend freizügig und sah mich zudem mit diesem, mir vollkommen unerklärlichem Blick an.

 

Ich schwieg ziemlich verwirrt und drehte jetzt langsam, wie vordem meinen Kopf, nun auch meinen Körper zur Seite. Noch etwas und noch etwas und noch etwas weiter. Als ich ihr den Rücken vollkommen zuwandte und sie mich nicht noch einmal angesprochen hatte, verließ ich mit leicht gesenktem Haupt und kontrollierten Schritten die schattige Laube und trat in den sonnengewärmten Garten hinaus.

 

Mit aufgeregt pochendem Herzen warf ich den Motor wieder an und schob mit der kräftig vibrierenden Maschine los. Die abgefetzten Halme flogen in den Auffangkorb. Der laut dröhnende Rasenmäher erdete mich mit jeder gemähten Spur etwas mehr und er holte mich so, Bahn für Bahn, wieder in den alltäglichen und gewohnten sommerlichen Trott zurück.

 

Als ich mit meiner Arbeit fertig war, stand sie frischgeduscht an der Hintertür und übergab mir, sehr liebenswürdig lächelnd, mein Geld. Sie war mittlerweile wieder vollständig und sommerlich schick angezogen und neigte den Kopf freundlich zur Seite, während sie mir eine kühle, eingecremte Hand zum Abschied reichte.

Es kam nie wieder vor, dass wir uns so ansahen. So einen gedehnten Augenblick länger.

 

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